Kurvig schlängelt sich die Bundesstraße L 237
über grüne Wiesen in Richtung Kühtai. Während ich mich im Auto mit viel Spaß an
der Fliehkraft durch die Serpentinen nach oben arbeite, fällt mir wieder ein,
wie ich vor vier Wochen bereits diese Strecke in die Stubaier Alpen genommen
habe. „Hike & Ride Kühtai“, so die offizielle Namensgebung für die
Veranstaltung. Ausgangspunkt damals: die Dortmunder Hütte am Ortseingang von
Kühtai.
Mit Lawinenverschüttetensuchgerät (kurz LVS), Sonde und viel Engagement sind damals 18 unerschrockene Pfälzer aufgebrochen, um sich der Herausforderung Tourenskilauf zu stellen. Manche bereits mit imposanter Tourenerfahrung, andere wussten gerade mal, dass die Felle unter die Skier und nicht um den Hals gehören. Geeint hat alle Teilnehmer ein wesentlicher Punkt: die Leidenschaft für Berge und Schneesport.
Mit Lawinenverschüttetensuchgerät (kurz LVS), Sonde und viel Engagement sind damals 18 unerschrockene Pfälzer aufgebrochen, um sich der Herausforderung Tourenskilauf zu stellen. Manche bereits mit imposanter Tourenerfahrung, andere wussten gerade mal, dass die Felle unter die Skier und nicht um den Hals gehören. Geeint hat alle Teilnehmer ein wesentlicher Punkt: die Leidenschaft für Berge und Schneesport.
Und so kam es, wie es kommen musste: Für den
Lehrgang konnte Organisator und Vater der „Powderhound“-Bewegung Lotti niemand
geringeres verpflichten als Peter Preuss, Teamchef des Bundeslehrteams und
damit der „Godfather of Tourenskilauf“ schlechthin. Nach der ersten Sichtung
dieser angefixten Tourengeher-Aspiranten wusste er nicht recht, ob er in einer
Casting-Show für „Verstehen Sie Spaß?“ gelandet ist oder ob diese Horde
aufgeregter Novizen tatsächlich das Zeug dazu hat, die Bergvagabunden der
Zukunft abzugeben.
Der erste Ausbildungstag sollte sämtliche
Fragen beantworten. Stramm und entschlossen bewegen sich die beiden Trupps aus
Grundstufen- und Instructor-Lehrgang stetig in die hochalpinen Regionen.
Erklärungen über Wetter- und Lawinenkunde lauschen sie andächtig, stellen die
richtigen Fragen und sind wissbegierig bis ins Detail. Ein Referat am Abend
rundet die theoretische Ausbildung ab und am nächsten Morgen steht die Truppe
wieder mit genau der gleich hohen Motivation auf der Matte wie am Vortag. Oder
ist sie sogar noch gewachsen?
Am Ende des ersten Lehrgangs muss sich Peter und
sein Team eingestehen, dass der Enthusiasmus aus der gesamten Gruppe
ausgesprochen ansteckend ist und viel Zuversicht für den kommenden Lehrgang
weckt. Aber wird diese Zuversicht auch dann noch bleiben, wenn der Muskelkater
von jeder Faser bekannter Muskelgruppen Besitz ergriffen hat und zudem noch
Muskeln wehtun, deren Existenz man bislang nicht einmal geahnt hat?
Sie blieb.
Und so freue ich mich schon während
der Fahrt darauf, die gleiche Truppe fast einen Monat später wieder in Praxmar
zu treffen. Der Ort mit dem sonderbaren Namen liegt versteckt hinter Kühtai in
einem Seitental und ist ein wahres Mekka für Tourengeher. Diesmal beinhaltet der Lehrgang neben dem Organisieren und Führen von
Skitouren auch eine Lehrprobe und die Theorieprüfung.
Lampsenspitze, Zwieselbacher
Rosskogl und Zischgeles sollten die Objekte unserer Begierde für die
kommenden Tage werden. Dazu hatten wir einen Mix aus allen nur möglichen
Wetterbedingungen gebucht: Strahlender Sonnenschein war genauso vorhanden wie
Nebel oder Schneefall. Jede Tour wurde akribisch am Abend vorher ausgearbeitet,
die Schlüsselstellen herausgestellt und ein Tourenprofil angelegt. Das stellt
sicher, dass man vor bösen Überraschungen während der Tour verschont bleibt.
Dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, zeigt uns unser Ausbilder Roland Zschorn ausdrucksvoll im abendlichen Seminar. Bei Fallbeispielen aus der Vergangenheit werden im Nachhinein Lawinenwarnstufe, Hangneigung, Temperatur, Wind und Exposition zueinander in Relation gesetzt und analysiert.
Die Vermittlung der Inhalte geschieht in
Gruppenarbeit. An diesem Abend trifft nüchterne Katastrophenbeschreibung auf
pfälzische Kreativität: Möglicherweise
ist es das erste Mal, dass ein Lawinenunglück von einer Laienspielgruppe auf
der Bühne in Szene gesetzt wurde. Die anfängliche Heiterkeit darüber, dass
unsere Powderhounds jetzt auch auf Prad Pitt und George Clooney machten
verstummte schlagartig, als die Lawine virtuell ausgelöst wurde. Lotti hierzu
später: „Ich hatte richtig Gänsehaut, als mir klar wurde, was wir hier gerade
spielten.“ Das Ergebnis des Abends: Die Ausgangslage ist niemals so
schwarz-weiß, wie man es sich wünschen würde, wenn man selbst irgendwann einmal
die Verantwortung für eine Gruppe im Gebirge übernehmen soll. Oftmals bewegt
man sich in einem Graubereich, der gut gehen kann- aber nicht immer muss. Aus
diesem Grund ist „Risikomanagement“ ein zentrales Thema über den gesamten
Lehrgang hinweg. Wann kann man einen Hang noch fahren oder ersteigen und wann
wird es ein Spiel mit dem Tod? Je mehr Informationen wir über die Indikatoren
bei einem Lawinenabgang haben, desto sicherer fühlen wir uns.
Aber wir wissen: diese Sicherheit ist
trügerisch. Und daher ist es auch wichtig zu wissen, was passieren muss, wenn
es dann doch einmal passiert sein sollte.
Der sichere Umgang mit LVS und Sonde
ist daher ein Kernthema und wird auch in einer Simulation geprüft. Nach kurzer,
aber intensiver Diskussion beschließen wir anstelle von zwei Teilnehmern
lediglich Rucksäcke mit LVS-Geräten im Schnee zu verstecken und suchen unter
Zeitdruck die beiden virtuell Verschütteten. Zeit ist ein kritischer Faktor,
will man die beiden Kameraden noch lebend bergen. Mehr als 15 (in Worten:
fünfzehn) Minuten bleiben nicht, bis das Opfer erstickt ist. Danach wirken
Druck und Kälte schnell und effektiv in Richtung Erfrierungstod.
Nachdem alle Teilnehmer die beiden Rucksäcke
unbeschadet und in weniger als 5 Minuten aus der imaginären Lawine befreien konnten,
gibt uns das noch mehr Zuversicht für den Ernstfall. Dieses Ergebnis ging auch
direkt in die Endbewertung mit ein. Am Ende der drei Tage stehen
unbeschreibliche Eindrücke aus einer phantastischen Landschaft, viele neue
Erfahrungen rund ums Überleben in den Bergen und 16 frischgebackene
Übungsleiter Skitour mit pfälzischem Migrationshintergrund.
Falls sich der letzte Absatz wie ein
Schlussakkord gelesen haben sollte: Diese Tage waren erst der Anfang. Denn zum
einen macht es viel mehr Spaß, diese wunderbare Bergwelt mit einigen wenigen
Gleichgesinnten zu teilen als mit dieser Ansammlung von Vollpfosten, die sich
auf den Pisten zwischen Semmering und La Plagne mittlerweile oftmals tummeln.
Und zum anderen sind diese Powderhounds eine echt coole Truppe, die bestimmt
noch viele Gipfelerlebnisse vor sich haben. Auch im Schnee.