Dienstag, 24. März 2015

The Rise of the Powderhounds (thanks@ Stephan!)



Kurvig schlängelt sich die Bundesstraße L 237 über grüne Wiesen in Richtung Kühtai. Während ich mich im Auto mit viel Spaß an der Fliehkraft durch die Serpentinen nach oben arbeite, fällt mir wieder ein, wie ich vor vier Wochen bereits diese Strecke in die Stubaier Alpen genommen habe. „Hike & Ride Kühtai“, so die offizielle Namensgebung für die Veranstaltung. Ausgangspunkt damals: die Dortmunder Hütte am Ortseingang von Kühtai. 





Mit Lawinenverschüttetensuchgerät (kurz LVS), Sonde und viel Engagement sind damals 18 unerschrockene Pfälzer aufgebrochen, um sich der Herausforderung Tourenskilauf zu stellen. Manche bereits mit imposanter Tourenerfahrung, andere wussten gerade mal, dass die Felle unter die Skier und nicht um den Hals gehören. Geeint hat alle Teilnehmer ein wesentlicher Punkt: die Leidenschaft für Berge und Schneesport.


Und so kam es, wie es kommen musste: Für den Lehrgang konnte Organisator und Vater der „Powderhound“-Bewegung Lotti niemand geringeres verpflichten als Peter Preuss, Teamchef des Bundeslehrteams und damit der „Godfather of Tourenskilauf“ schlechthin. Nach der ersten Sichtung dieser angefixten Tourengeher-Aspiranten wusste er nicht recht, ob er in einer Casting-Show für „Verstehen Sie Spaß?“ gelandet ist oder ob diese Horde aufgeregter Novizen tatsächlich das Zeug dazu hat, die Bergvagabunden der Zukunft abzugeben.


Der erste Ausbildungstag sollte sämtliche Fragen beantworten. Stramm und entschlossen bewegen sich die beiden Trupps aus Grundstufen- und Instructor-Lehrgang stetig in die hochalpinen Regionen. Erklärungen über Wetter- und Lawinenkunde lauschen sie andächtig, stellen die richtigen Fragen und sind wissbegierig bis ins Detail. Ein Referat am Abend rundet die theoretische Ausbildung ab und am nächsten Morgen steht die Truppe wieder mit genau der gleich hohen Motivation auf der Matte wie am Vortag. Oder ist sie sogar noch gewachsen? 


Am Ende des ersten Lehrgangs muss sich Peter und sein Team eingestehen, dass der Enthusiasmus aus der gesamten Gruppe ausgesprochen ansteckend ist und viel Zuversicht für den kommenden Lehrgang weckt. Aber wird diese Zuversicht auch dann noch bleiben, wenn der Muskelkater von jeder Faser bekannter Muskelgruppen Besitz ergriffen hat und zudem noch Muskeln wehtun, deren Existenz man bislang nicht einmal geahnt hat?
Sie blieb. 

Und so freue ich mich schon während der Fahrt darauf, die gleiche Truppe fast einen Monat später wieder in Praxmar zu treffen. Der Ort mit dem sonderbaren Namen liegt versteckt hinter Kühtai in einem Seitental und ist ein wahres Mekka für Tourengeher. Diesmal beinhaltet der Lehrgang neben dem Organisieren und Führen von Skitouren auch eine Lehrprobe und die Theorieprüfung. 


Lampsenspitze, Zwieselbacher Rosskogl und Zischgeles sollten die Objekte unserer Begierde für die kommenden Tage werden. Dazu hatten wir einen Mix aus allen nur möglichen Wetterbedingungen gebucht: Strahlender Sonnenschein war genauso vorhanden wie Nebel oder Schneefall. Jede Tour wurde akribisch am Abend vorher ausgearbeitet, die Schlüsselstellen herausgestellt und ein Tourenprofil angelegt. Das stellt sicher, dass man vor bösen Überraschungen während der Tour verschont bleibt. 

 Dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, zeigt uns unser Ausbilder Roland Zschorn ausdrucksvoll im abendlichen Seminar. Bei Fallbeispielen aus der Vergangenheit werden im Nachhinein Lawinenwarnstufe, Hangneigung, Temperatur, Wind und Exposition zueinander in Relation gesetzt und analysiert.

Die Vermittlung der Inhalte geschieht in Gruppenarbeit. An diesem Abend trifft nüchterne Katastrophenbeschreibung auf pfälzische Kreativität:  Möglicherweise ist es das erste Mal, dass ein Lawinenunglück von einer Laienspielgruppe auf der Bühne in Szene gesetzt wurde. Die anfängliche Heiterkeit darüber, dass unsere Powderhounds jetzt auch auf Prad Pitt und George Clooney machten verstummte schlagartig, als die Lawine virtuell ausgelöst wurde. Lotti hierzu später: „Ich hatte richtig Gänsehaut, als mir klar wurde, was wir hier gerade spielten.“ Das Ergebnis des Abends: Die Ausgangslage ist niemals so schwarz-weiß, wie man es sich wünschen würde, wenn man selbst irgendwann einmal die Verantwortung für eine Gruppe im Gebirge übernehmen soll. Oftmals bewegt man sich in einem Graubereich, der gut gehen kann- aber nicht immer muss. Aus diesem Grund ist „Risikomanagement“ ein zentrales Thema über den gesamten Lehrgang hinweg. Wann kann man einen Hang noch fahren oder ersteigen und wann wird es ein Spiel mit dem Tod? Je mehr Informationen wir über die Indikatoren bei einem Lawinenabgang haben, desto sicherer fühlen wir uns.

Aber wir wissen: diese Sicherheit ist trügerisch. Und daher ist es auch wichtig zu wissen, was passieren muss, wenn es dann doch einmal passiert sein sollte. 


Der sichere Umgang mit LVS und Sonde ist daher ein Kernthema und wird auch in einer Simulation geprüft. Nach kurzer, aber intensiver Diskussion beschließen wir anstelle von zwei Teilnehmern lediglich Rucksäcke mit LVS-Geräten im Schnee zu verstecken und suchen unter Zeitdruck die beiden virtuell Verschütteten. Zeit ist ein kritischer Faktor, will man die beiden Kameraden noch lebend bergen. Mehr als 15 (in Worten: fünfzehn) Minuten bleiben nicht, bis das Opfer erstickt ist. Danach wirken Druck und Kälte schnell und effektiv in Richtung Erfrierungstod.

Nachdem alle Teilnehmer die beiden Rucksäcke unbeschadet und in weniger als 5 Minuten aus der imaginären Lawine befreien konnten, gibt uns das noch mehr Zuversicht für den Ernstfall. Dieses Ergebnis ging auch direkt in die Endbewertung mit ein. Am Ende der drei Tage stehen unbeschreibliche Eindrücke aus einer phantastischen Landschaft, viele neue Erfahrungen rund ums Überleben in den Bergen und 16 frischgebackene Übungsleiter Skitour mit pfälzischem Migrationshintergrund.

Falls sich der letzte Absatz wie ein Schlussakkord gelesen haben sollte: Diese Tage waren erst der Anfang. Denn zum einen macht es viel mehr Spaß, diese wunderbare Bergwelt mit einigen wenigen Gleichgesinnten zu teilen als mit dieser Ansammlung von Vollpfosten, die sich auf den Pisten zwischen Semmering und La Plagne mittlerweile oftmals tummeln. Und zum anderen sind diese Powderhounds eine echt coole Truppe, die bestimmt noch viele Gipfelerlebnisse vor sich haben. Auch im Schnee.

3 Kommentare:

  1. Super Zusammenfassung. Welchem "Stephan" gilt denn der Dank!!

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  2. Toller Artikel! Wir wollen dort auch mal eine Skitour machen! Aber nachdem die Kinder heuer unbedingt auch Skifahren lernen wollen, gilt es zuerst einmal eine gute Kinderskischule zu finden :) LG

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